|nach ALICE IM WUNDERLAND by Lewis Carroll|
Wir sehen, dass das Theater nichts anderes als ein leeres Ritual und Vergnügen der Bourgeoisie ist.
Wir sehen, dass wir im Theater nichts über Empörung und Ungehorsam lernen, sondern lediglich wie wir zu gehorsamen Schafen werden.
Wir sehen diese Schafherde, in der alle gehorsam blöken und in diesem Blöken erkennen wir die ersten Takte unserer Hymne.
Lewis Carolls Klassiker Alice im Wunderland ist der Ausgangspunkt unserer Recherche nach unentdeckten Theaterräumen, sowie nach virtuellen Räumen. Die Dramaturgie des Buches ähnelt einem Traum, solang sich God‘s der Realität dieses Traumes annähern. Aus der Erkenntnis, dass etwas so ist wie es verspricht, folgt nicht, dass es so ist? Alice landet in einem farbenreichen Nonsens-Universum, wie God‘s. Sie kreiert ihre eigene Welt und ist Zentrum aller unterirdischen Wesen im Wunderland, bis God‘s eine andere Welt der (außer)irdischen Zustände im Theater kreieren. Die Grinsekatze poppt auf wie eine Freundschaftsanfrage bei Facebook. Fiktive Identitäten, virtuelle Freundschaften und Reisen ins Unbewusste – Reales und Virtuelles befinden sich im ständigen Austausch. Diese Vorstellung ist das Verhältnis von Sein und Sollen, von Erkenntnis und Wahrnehmung.
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In Koproduktion mit WUK
Mit freundlicher Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien - MA7
BACKGROUND
Ich will das Leben davon überzeugen, dass es zum größten Teil inszeniert ist, und das Theater, dass es ohne das Leben nicht aus kommt. |Christoph Schlingensief|
Einleitung
In Alice im Wunderland enthüllt uns Lewis Caroll Alice' Träume über welche sie als Heldin der Erzählung keine Macht mehr besitzt, sondern von einer Tür zur nächsten Tür gezwungen wird um sich selbst zu finden, anderseits sich aber im Vergleich zu ihrer üblichen, realen Welt, unterhalten kann. Sie überlässt sich mehr und mehr ihren Träumereien, die sie verzaubern und in ganz andere Welten befördern. Sie eilt immer tiefer hinein - dem Kaninchen nach, bis sie in ihrem farbenreichen Nonsence-Universum landet, indem sie das Idol der Kinderliteratur wird. Oder ihre eigene Weltdesignerin. Zugleich ist sie Story-Moderatorin. Sie ist Zentrum aller unterirdischen Wesen im Wunderland. Sie ist alles. Aber ganz anders, als die Anderen in dieser Welt.
In dieser poetischen Reise in eine Welt des Wunderlandes entführt Alice ihr Publikum aus der Realität, in welcher Liebe... Freundschaften... Partnerschaften... und all die anderen Schaften als Zutaten des indisponiblen (langweiligen) Lebens gelten und bringt jeden dorthin wo der Zufall herrscht und keiner nach herkömmlicher Logik hinterfragt, wo die Wirklichkeit komplizierter aussieht, wo sich unbewusste Wünsche und unerfüllte Sehnsüchte vermischen und sich erzielen. Somit ist diese entpuppte Welt endlich ihre Welt, ihre Suche nach neuen Freundschaften und Erfahrungen. Allerdings löst ihre körperliche, geistige und räumliche Veränderbarkeit eine neue Dimension der Wahrnehmung aus, soweit, dass man sich dabei fragen muss, welchen Wahrnehmungen man nun trauen kann. Nachdem sie ihre surreale unterirdische Welt immer mehr entdeckt, führt sie ihr Publikum noch weiter in absurdes Chaos ein, indem man schließlich Phantasie und Wirklichkeit nicht mehr voneinander unterscheiden kann, bis sie plötzlich aufwacht.
Forschungsfragen als Ausgangposition unserer performativen Reise in Alice' Wunderland
Wo finden wir heute eine Welt des nonsence? Darf man überhaupt eine Welt des nonsence suchen? Wo kann man Zeit, Moral, Rationalität, Identität und Hierarchie zwischen Menschen und deren Umwelt aufheben? Wo darf man seine üblichen Denkgewohnheiten und Sprachkonventionen über Bord werfen? Im Theater darf man das. Zumindest, solange man damit erfolgreich ist. Erfolgreich in der Inszenierung |man bekommt beispielsweise gute Kritik|, oder erfolgreich mit der Vermarktung |das Theaterstück wird weiters eingeladen|. Im Theater ist das auch eine Pflicht. Durch welche imaginären Türe sind wir heute gegangen - oder nicht - um den Theaterabend mitzuerleben? Sind wir auf der Suche nach Belustigung, auf der Suche nach einer aufregenden Welt, auf einer Flucht vor dem Alltag? Sind es Türen die wir gewohnt sind zu durchschreiten? Auch Alice steht vor der Entscheidung eine Türe zu durchschreiten um etwas Neues zu erleben. Ihr Weg in eine fantastische Welt voll Ungewissheit soll für uns auch eine Möglichkeit sein, im Theater etwas Fantastisches zu erfahren. Alice ist vor allem auch auf der Suche nach sich selbst. Wie findet sie sich in einer ungewohnten Umgebung zurecht, wie erfährt sie neue Bekanntschaften? Trotz dieser Suche ist sie jedoch allem gegenüber unvoreingenommen, verliert ihre Moralvorstellungen, Identitätsansprüche und Denkgewohnheiten, lässt zu, und erlebt. Und entscheidet schlussendlich auf einer persönlichen Ebene was für sie annehmbar ist.
Schließlich nahm die Raupe die Wasserpfeife aus dem Mund um mit träger, schläfriger Stimme Alice anzusprechen. 'Wer bist du?' fragte die Raupe. Das war kein besonders ermutigender Anfang für ein Gespräch. Schüchtern antwortete Alice: 'Ich [...] ich weiß nicht recht, Sir [...] im Augenblick. Ich weiß zwar, wer ich war, als ich heute morgen aufstand, aber seither bin ich wohl ein paar Mal verwandelt worden.' 'Was meinst du damit?' sagte die Raupe streng. 'Erkläre Dich genauer!' 'Ich kann mich leider nicht erklären, Sir,' sagte Alice, 'denn ich bin gar nicht ich, verstehen Sie?'
Alice' Reise durchs Wunderland mag als ungewöhnlichster Weg der Erkenntnis unserer Selbst, des Ichs erscheinen, aber dennoch scheint es vor allem jetzt wichtig zu sein diese Reise zu machen um die Natur unseres Bewusstseins besser verstehen zu können und dabei all die Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, dass wir unser Selbstbild, wie auch das unserer Gesellschaft noch radikaler wandeln lassen können, als das schon geschehen war.
Und diese Möglichkeit gibt uns das Theater, besser gesagt, seine Zustände. Es kann diese Momente oder Zustände der Selbstfindung erfahrbar machen |wenn es gut ist|. Dank dem Theater(raum) sollen die Zuschauer durch eine surreal inszenierte Geschichte und zugehörigem Bühnenbild ihre gewohnte Umwelt vergessen und tägliche Handlungen oder Sichtweisen zu hinterfragen beginnen.
Ein weiteres Beispiel aus unserer Gegenwart
Nach der Dramaturgie des Buches, die einem Traum ähnelt, indem plötzlich Einfaches problemlos mit Kompliziertem harmoniert, wird die Tendenz dieser Inszenierung in ähnlicher Weise umgesetzt. Im Buch öffnen sich andauernd neue Besetzungs- und Kommunikationsräume unter den Partizipierenden um neue Freundschaften - und dadurch auch sich Selbst neu zu erleben. In diesem Sinne stellt sich hier die Frage: wie sehen unsere Kommunikationsräume aus? Sind unsere 11“ oder 13“ oder 17“ windows, vor den wir jeden Tag im Netz nach neuen Freundschaften und nach einem spannendbunten und schnelleren Leben suchen, dieselben Räume Alice‘, die als Hier und Da permanent in eine Vermischung von Realen und Irrealen verschwinden? Ähnlich wie bei Paul Virilio: Mit der Beschleunigung gibt es kein Hier und Da mehr, sondern nur noch die geistige Vermischung des Nahen mit dem Fernen, der Gegenwart mit der Zukunft, des Realen mit dem Irrealen, die Vermischung der Geschichte mit der furchteinflößenden Utopie der Kommunikationstechniken. Eines dieser windows (-räume) ist der welt-beherrschende Raum Facebook, hier als Untersuchungsquelle zur Analyse der Entstehung des modernen Freundschaftkreises, indem allerdings die Anzahl der „Freunde“ der eigenen Entwicklung beisteuern. Das führt zum virtuellen Austausch von den persönlichen Erfahrungen als Synonym zu den Welten der Anderen, indem jeder einmal als Held im eigenen Traum Alice ist.
Ein anderes Beispiel aus näherer Vergangenheit
Die ähnlichen philosophischen Fragen über die Realität und Identität wurden bereits in Filmen Being John Malkovich |Regie: Spike Jonze| und Science of Sleep |Regie: Michel Gondry| thematisiert. In diesen Filmen werden Protagonisten zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten hin und hergezogen, nachdem interessanterweise einerseits in Being John Malkovich zu sehen ist, wie der Marionettenspieler dauerhaft in den fremden Körper und Bewusstsein schlüpft, um seine |Malkovichs| Popularität zu nutzen, andererseits bei Science of Sleep, wo die Beziehung zwischen beiden Protagonisten erst im Traum funktioniert, wobei sich allmählich mit der Realität vermischt, soweit, dass man als Zuschauer Phantasie und Wirklichkeit nicht mehr voneinander unterscheiden kann. Identitätsverbergung im einen und Pappmaché-Universum in anderen Film erzielen das gleiche Ergebnis - die neue Freundschaft zu schaffen. In God’s Entertainments Reise in Alice‘ Wunderland kommt es zu einer Mischung von erwünschten |Alice'| Spielweisen mit Ich Selbst durch die Suche nach neuen Kommunikationsräumen und dem selbstgebastelten Pappmaché-Universum, indem nach neuen Freundschaften gesucht wird. Insofern, dass das Publikum auf gesteuerter Art und Weise seitens God’s Entertainment auf dieser Reise selbst Alice ist oder ähnlich als multiplizierter John Malkovich am Ende des Films. Jedenfalls eine bunte und skurrile Reise durch God’s Entertainments Wunderland.